Ratgeber: Lautstärken mit dem iPhone richtig messen

iPhone und iPad können präzise Ergebnisse bei Lärmmessungen liefern. Wir nennen nützliche Apps und geben Tipps zum Vorgehen.

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Ratgeber: Laustärken mit dem iPhone richtig messen
Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Kai Schwirzke
Inhaltsverzeichnis

Der Nachbar nervt mit seinem dröhnenden Motorrad und die WG nebenan hat ganz eigene Vorstellungen von Zimmerlautstärke? In solchen Fällen helfen Messungen, subjektiv empfundenen Lärm objektiv als solchen zu belegen. Dazu benötigen Sie lediglich ein iOS-Gerät und eine passende App, die es sogar kostenlos gibt.

Natürlich dienen solche Mess-Apps nicht allein der Beilegung nachbarschaftlicher Zwistigkeiten. Sie eignen sich zum Beispiel auch dazu, bei Konzerten zu prüfen, ob die Lautstärke bereits gesundheitsschädliche Dimensionen angenommen hat und Sie besser Ohrenstöpsel anlegen. Auch am Arbeitsplatz helfen die Apps, gesundheitsschädliche Lärmbelastungen frühzeitig zu erkennen.

Warum solche Audiomessungen bereits mit den in iOS-Geräten integrierten Mikrofonen verblüffend präzise Ergebnisse liefern, erklären wir etwas später.

Für den schnellen Einstieg laden Sie bitte zunächst die kostenlose Version von "Dezibel X - dBA Lärmmessgerät" aus dem App Store und starten sie. In der unteren Hälfte sehen Sie ein großes, "analoges" VU-Meter, wie Sie es vielleicht von alten Tonbandgeräten oder Kassettenrekordern kennen. In der Mitte sitzt ein grüner "Play"-Button. Wenn Sie darauf tippen, beginnt die App mit der Lautstärkemessung, das "Play"-Symbol verwandelt sich in ein "Pause"-Icon, über das Sie die Messung wieder beenden.

Mehr Infos


  • Mit dem iPhone und iPad kann man zuverlässig Schalldruckpegel bis 120 dB messen.
  • Entsprechende Apps sind sogar kostenlos erhältlich.
  • Mit modular aufgebauten Apps wie AudioTools erweitern Sie Ihr iOS-Gerät zum umfangreichen Audiomessplatz.
  • Zubehör erleichtert das Ganze, ist aber nicht unbedingt notwendig


Sie können nun die aktuelle Lautstärke direkt über das Zeigerinstrument oder, viel bequemer, über die rote alphanumerische Anzeige darunter ablesen. Links daneben zeigt die App die durchschnittliche Lautstärke (AVG für average = durchschnittlich) und ganz rechts den lautesten bislang gemessenen Wert (MAX).

Damit Sie diese Zahlen einordnen können, blendet Dezibel X am oberen Bildschirmrand ein, welcher Alltagssituation die gemessene Lautstärke entspricht. Ein auf Zimmerlautstärke spielender Fernseher erzeugt zum Beispiel etwa 60 dB SPL (siehe "Was ist laut? Ein wenig Theorie" weiter unten) ein normales Zwiegespräch 40 dB SPL.

Wenn Sie auf den Maximalwert rechts unten tippen, setzen Sie diesen zurück. Das ist zum Beispiel praktisch, wenn Sie versehentlich in das Mikrofon gehustet und so eine Lautstärkespitze verursacht haben.

Der ebenfalls integrierte Dosimeter-Modus zeigt die Lärmbelastung nach den Standards der US-amerikanischen Gesundheitsbehörden OSHA (Occupational Safety and Health Administration) und NIOSH (National Institute for Occupational Safety and Health).

Decibel X lässt sich einfach über wenige Schaltflächen bedienen.

Dort sehen Sie nun den Durchschnittswert (TWA, Time Weighted Average, muss über acht Stunden ermittelt werden) und die "Lärmdosis", wiederum bezogen auf einen achtstündigen Arbeitstag.

Überschreitet sie 100 Prozent, muss der Arbeitgeber erste Schutzmaßnahmen ergreifen. Dies ist nach OSHA-Standard ab einem TWA von 85 dB der Fall.

Bei einem TWA von 95 dB wird das Tragen von Gehörschutz erforderlich. Diese Werte entsprechen mehr oder weniger der 2007 umgesetzten EG-Richtlinie "Lärm", der Einsatz des Dosimeters ist also auch in unseren Breitengraden durchaus sinnvoll. Details des Dosimeters können Sie außerdem über das Setup justieren, das Sie über das kleine Zahnradsymbol oben rechts erreichen.

Im oberen Bildschirmdrittel bietet Decibel X ein nettes Detail: Das kleine Grafikfenster zeigt eine Verlaufskurve des Schalldrucks. Das ist hilfreich, wenn Sie zum Beispiel die Geräuschkulisse über einen längeren Zeitraum erfassen. Per Linkswisch können Sie alternativ zwei Echtzeit-Frequenz-Analyzer einblenden oder eine Wellenform-Anzeige. Kippen Sie Ihr iOS-Gerät in den Landscape-Modus, erscheint der Bereich bildschirmfüllend.

Sobald Sie eine Messung starten, nimmt Dezibel X die ermittelten Daten kontinuierlich auf. Wenn Sie eine Mess-Session speichern möchten, klicken Sie auf das kleine Pfeil-Icon unterhalb der Frequenzanzeige. Die aktuelle Sitzung landet dann, inklusive der Verlaufsgrafik, unter "Daten".

Diese Protokolle lassen sich zum Beispiel per E-Mail, Airdrop, Dropbox oder Apples Nachrichtendienst weiterleiten. Sie können auch ein Foto von Ihrem Standort schießen, in das Decibel X die aktuellen Messwerte einstanzt. Das ist praktisch, um Lärm einem konkreten Ort zuzuordnen. Wenn Sie mögen, dürfen Sie diese Schnappschüsse auch gleich bei Facebook oder Instagram hochladen.

Hinweise helfen, sich in der App zurechtzufinden.

Das kostenlose Dezibel X finanziert sich über Werbeeinblendungen – und weist ständig auf die Abo-Option hin.

Wenn Sie die App nur gelegentlich nutzen, lässt sich damit leben; bei regelmäßiger Nutzung nerven die Banner aber.

Um alle Funktionen der App freizuschalten, muss man ein Abo buchen. Vorsicht, das kostet in Voreinstellung 4,50 Euro pro Monat. Es wird auch ein Jahresabo für 17 Euro angeboten (unter "Optionen für Abonnements") sowie eine eigenständige Pro-Version, die einmalig 18 Euro kostet. Dann können Sie Messungen mit allen gängigen Bewertungsfiltern (A, B, C und Z) vornehmen und außerdem beliebig viele Messprotokolle speichern. Eine Beschränkung in der Datenmenge besteht, im Gegensatz zur kostenfreien Version, nicht.

Decibel X ist ein hilfreiches, zuverlässiges Werkzeug zur Schalldruck-Messung, beschränkt sich aber auf diese Disziplin. Wenn Sie Ihr iOS-Gerät etwas flexibler als Messinstrument einsetzen möchten, empfiehlt sich zum Beispiel die App AudioTools von Andrew Smith. Sie kostet in der Basisversion 22 Euro und beherrscht dann ebenfalls die Schalldruck-Messung, bietet unter anderem aber mehrere Module zur Frequenzanalyse, ein Audio-Oszilloskop und einen Testtongenerator.

Die Audio Tools sind flexibel aufgebaut und lassen sich beispielsweise um aufwendige Module zur Raummessung erweitern.

Weitere Funktionen lassen sich per In-App-Kauf ergänzen, etwa zum Ermitteln der Sprachverständlichkeit eines Lautsprechersystems, zum Bestimmen des Raumnachhalls oder zum Messen des Geräuschspannungsabstands (vulgo: Rauschen).

Für die letztgenannte Funktion benötigen Sie allerdings zusätzlich ein rauscharmes, qualitativ hochwertiges Audiointerface. Beschallungsprofis können sogar einen sogenannten Smaart-Realtime-Analyzer ergänzen, ein von der Firma Rational Acoustics entwickeltes Werkzeug, das allerhöchsten Ansprüchen genügt.

In der höchsten Ausbaustufe kostet Audio Tools gut 200 Euro – das ist eine Menge Geld. Allerdings schlägt allein das Smaart-Modul mit 55 Euro zu Buche, ebenso die Ergänzung zum Erstellen von sogenannten Impulsantworten. Auch die benötigen in der Regel nur Profis, um beispielsweise für digitale Hallgeräte real existierende Räume zu erfassen. Andere Pakete wie zum Ermitteln von Lautsprecherverzerrungen sind mit Preisen zwischen fünf und sieben Euro durchaus erschwinglich. Der interessierte Amateur hingegen dürfte bereits mit der Basis-App mehr als glücklich werden.

Prinzipiell gelingt der Einsatz von Schalldruck-Messgeräten denkbar einfach. Sie richten das Mikrofon auf die Schallquelle, starten die Messung und betrachten die Ergebnisse. Wollen Sie wissen, wie laut es gerade in Ihrer unmittelbaren Umgebung ist (Immissionsmessung), reicht es, das iOS-Gerät in der Hand zu halten oder auf einen Tisch zu legen.

Achten Sie darauf, das Mikrofon nicht mit der Hand oder Kleidungsstücken zu verdecken. Auch sollte das Mikrofon nicht unmittelbar auf Ihren Körper zeigen, denn den wollen Sie wahrscheinlich in den wenigstens Fällen messen.

Liegen iPhone oder iPad auf einem Tisch, vermeiden Sie bitte Stöße etwa gegen Tischbeine oder -platte, da diese Geräusche die Messung erheblich verfälschen.

Wenn Sie die Lärmbelästigung durch einzelne Gegenstände erfassen möchten, etwa Rasenmäher oder Motorradauspuff (Emissionsmessung), so müssen Sie sich diesem Objekt natürlich nähern. Der Schalldruckpegel von Rasenmähern wird beispielsweise "direkt am Arbeitsplatz" gemessen, also dort, wo sich die Ohren des Gartenfreundes beim Rasenmähen befinden. Das Standgeräusch eines Motorradauspuffs wird hingegen in einem halben Meter Abstand zur Auspuffmündung gemessen, und zwar mit einem Versatz von 45 Grad zur Ausströmungsrichtung.

Untersuchungen in unserem Messlabor haben gezeigt, dass iOS-Apps wie Dezibel X erstaunlich präzise Ergebnisse liefern. Im Vergleich zu teuren, geeichten Schalldruckmessgeräten betrugen die Abweichungen lediglich 1 bis 3 Dezibel: Für den "Hosentaschen-Gebrauch" sind diese Unterschiede zu vernachlässigen. Günstige Schalldruckmessgeräte aus dem Versandhandel kosten zwischen 30 und 50 Euro und sind keinen Deut besser.

Doch warum liefern Apples iOS-Geräte so präzise Resultate? Einerseits ist die Audio-Hardware in iPhone und iPad tatsächlich erheblich besser als vielfach kolportiert. Gerade beim Mikrofon wird gerne außer Acht gelassen, dass Apple Filter im Aufnahmeweg integriert hat, die für optimale Sprachverständlichkeit sorgen sollen. Beim iPhone handelt es sich schließlich nach wie vor um ein Telefon. Um das Optimum herauszuholen, schalten viele Entwickler diese Filter ab.

Andererseits untersuchen die Entwickler einer solchen Schalldruck-App unter Laborbedingungen, wie sich Messungen mit geeichten Mikrofonen und iOS-Geräten voneinander unterscheiden. Dann ziehen sie die Messkurve des Labormikrofons von der des iOS-Devices ab, woraus eine Differenzkurve resultiert, die sie zur Korrektur heranziehen.

Weiß der Entwickler, dass Mikrofon A gegenüber dem geeichten Messmikrofon Bässe abschwächt, lässt sich dies durch ein entsprechendes Filter kompensieren. Je feiner es arbeitet, desto besser lassen sich diese Schwächen ausgleichen. iPhones und iPads sind längst so rechenstark, dass ihnen diese Aufgabe auch in Echtzeit keine Mühe bereitet.

Sorgfältige Entwickler unterziehen zudem verschiedene Baureihen von iPhones und iPads einer solchen Prozedur, um etwaige Designänderungen abzufangen. Dennoch können auch innerhalb einer Modellgeneration Schwankungen durch Bauteiltoleranzen auftreten. Das kann allerdings selbst der fleißigste Entwickler nicht kompensieren.

Auf der Apple Watch (Series 4 und 5) liefert Apple mit watchOS 6 (siehe auch
Neue Funktionen für die Apple Watch – watchOS 6 im Griff) übrigens eine neue Lautstärke-App aus, die auch im Hintergrund wacht und den Geräuschpegel in der Health-App aufzeichnet. Ob diese App in Zukunft auch aufs iPhone kommt, bleibt offen. Decibel X läuft inzwischen auch auf der Apple Watch, zeigt dort aber nur den aktuellen Geräuschpegel.

Das i437L von micW wurde speziell für iOS-Geräte entwickelt.

Wenn Sie ganz besonders präzise messen möchten, greifen Sie zu einem sogenannten Messmikrofon. Die werden unter besonders strengen Bedingungen hergestellt und weisen nur minimale Toleranzen auf.

Außerdem hat der Hersteller im Idealfall die technischen Spezifikationen jedes einzelnen (!) Mikrofons akribisch dokumentiert. So kann der Anwender das Mikrofon optimal an die App anpassen.

Einige Apps unterstützen gängige Messmikrofone, etwa das unter iOS-Usern sehr beliebte micW i436, das sich in die Mikrofonbuchse von iPhone und iPad stecken lässt. Alternativ bietet sich das micW i437L für den digitalen Anschluss am Lightning-Port an.

Die zusätzlichen Ausgaben von 85 respektive 170 Euro für das i437L können Sie sich jedoch getrost sparen, wenn Sie lediglich den Schalldruck ermitteln möchten. Die Kompensationskurven der App-Entwickler funktionierten bei einem getesteten iPhone 5s ebenso zuverlässig wie bei einem iPhone 7 und einem iPad Air 2. Lediglich bei extrem lauten Pegeln messen zum Beispiel die micWs präziser, sie meistern auch noch einen Schalldruck von 130 dB, während mit iPhones und iPads nicht mehr geht als 120 dB.

Lautstärke ist eine subjektive Angelegenheit: Was der eine als noch angenehm empfindet, lässt den nächsten bereits entnervt den Raum verlassen. Um Lautstärken objektiv zu erfassen, wird daher der Schalldruck gemessen.

Dieser Wert beschreibt, wie sich Luftdruck durch Schallwellen verändert. Das Ergebnis wird in der Audiotechnik, aber auch in Gesetzestexten zum Arbeitsschutz, in Dezibel angegeben. Da die Maßeinheit Dezibel stets eine Bezugsgröße benötigt, um Aussagekraft zu besitzen, lautet die korrekte Angabe dB SPL. Ebenso darf man auch sagen: Der Schalldruck beträgt 100 dB.

SPL steht für das englische Sound Pressure Level, was wiederum Schalldruck bedeutet. Null Dezibel SPL beschreiben den notwendigen Schalldruck, um ein Ein-Kilohertz-Signal gerade so zu hören. Ein startender Düsenjet bringt, je nach Entfernung zur Messstation, schon einmal 140 dB auf die Startbahn. Bereits bei einer Dauerbeschallung von 80 bis 85 dB besteht Gefahr für das Gehör. Bei Pegeln ab 120 dB drohen nach kürzester Zeit irreparable Schäden, etwa durch Zerstörung der Haarzellen im Innenohr.

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Unser Gehirn filtert die über die Hörnerven eintreffenden Signale erheblich: Für Frequenzen im Sprachbereich sind wir besonders sensibel, in den Bässen und Höhen eher weniger. Auch das Lautstärkeempfinden unterliegt einer solchen Bewertung durch das Gehirn.

Um dem Rechnung zu tragen, gibt es in der Messtechnik Bewertungsfilter. Sie werden einer neutralen Messung "übergestülpt", um unserem Hörempfinden nahezukommen. Der gebräuchlichste Bewertungsfilter hört auf den schlichten Namen A. Eine entsprechend bewertete Messung erkennen Sie an dem in Klammern gesetzten Buchstaben: 123 dB SPL (A). Alternativ finden Sie auch die Zusätze: A-weighted oder A-gewichtet, also etwa: 123 dB SPL, A-gewichtet. Weiterhin existieren die Filter B, C und D, eine Z-Bewertung entspricht einer Messung ohne Gewichtung (Z = zero, also null).

(lbe)